Differentialdiagnostik und Maßnahmen im Bestand
Allgemeines
Ein Abort ist das Ausstoßen eines unreifen, nicht lebensfähigen Fötus vor Ablauf der normalen Trächtigkeitsdauer. Aus diesem Grund treten die meisten Aborte vor Beginn der geplanten Ablammperiode auf. Aborte werden meist durch eine Vielzahl infektiöser sowie - seltener - durch nichtinfektiöse Ursachen ausgelöst. Für eine infektiöse Ursache bei einem Abort sprechen hohe Abortraten nach der Erstinfektion und eine deutliche Verringerung in der folgenden Ablammsaison durch die Immunitätsbildung bei den Muttertieren. Aborte treten dann hauptsächlich bei Jährlingen auf.
Da die meisten wichtigen Aborterreger bei kleinen Wiederkäuern Zoonosen Erreger sind, sollten beim Umgang mit Abortmaterial zum persönlichen Schutz Einweghandschuhen getragen werden. In betroffenen Beständen ist die Erregerstreuung durch hygienische Maßnahmen (Desinfektion, Beseitigung der Aborte und Nachgeburten usw.) zu begrenzen. Schwangere Frauen sollten den Umgang mit Abortmaterial gänzlich zu vermeiden.
Hauptinfektionsquelle sind Neuzukäufe von gesund erscheinenden, aber bereits infizierten Tieren. Diese scheiden den Erreger mit dem Abortmaterial aus und bewirken somit die Ansteckung weiterer trächtiger Tiere. Muttertiere zeigen meist keine klinischen Symptome und entwickeln normalerweise nach der Erstinfektion eine Immunität, die ein nochmaliges Verlammen in einer späteren Trächtigkeit verhindert (1, 2). Beim Vorliegen von Coxiellen-, Chlamydien- und/oder Salmonelleninfektionen hat sich in Deutschland die vorbeugende Impfung vor der nächsten Deckperiode bewährt.
Diagnostik:
Für die Abortabklärung ist folgendes Untersuchungsmaterial ideal:
- die Nachgeburt bzw. einige Kotyledonen,
- der Fötus,
- zwei im Abstand von 3 Wochen genommene Blutproben des Muttertieres Serumpaar).
Insbesondere der Labmagen des Föten ist im Fall eines Infektionsverdachts für die Abklärung gut geeignet. Das Fruchtwasser, das den Erreger enthalten kann, wird vom Föten abgeschluckt und weist daher die geringste Verunreinigung aus der Umwelt auf. Je schneller das zu untersuchende Material ins Labor gelangt, desto eher kann die Ursache geklärt werden. Zudem sollte die Verschmutzung des zu untersuchenden Materials so weit wie möglich minimiert werden. In einigen Bundesländern ist ein Kuriersystem etabliert, in dem ein korrekt verpackter Abort inkl. Nachgeburt zum jeweiligen Untersuchungsamt befördert werden kann. Auch die Abortuntersuchung ist aufgrund der tierseuchenrechtlichen Relevanz und des Zoonosenpotentials der möglichen Erreger in einigen Bundesländern kostenfrei bzw. finanziell gefördert.
Gründe falscher (negativer) Ergebnisse (nach Mansfeld, Landesanstalt für veterinärmedizinische Untersuchungen, Klagenfurt)
- Ungenügende Erhebung des Vorberichtes
- Ungeeignetes oder unvollständiges Einsendematerial
- Veränderte Kotyledonen nicht eingesendet bzw. Plazenta fehlt vollständig
- Plazenta stark mit Kot und Einstreu kontaminiert
- Plazenta / Fetus stark autolytisch
- Keine maternalen Seren (auch von Kontakttieren bzw. Tieren, die bereits früher
- verworfen haben)
- Transport ins Labor zu lange und ungekühlt
- Nicht alle notwendigen Untersuchungen angefordert → Kostenfrage
- Ungeeignetes Labor!
- Problem in der Serologie: Infektion findet oft schon lange vor dem Abortus statt – maternaler Antikörpertiter oft schon wieder abgesunken bzw. kein Anstieg bei paarigen Serumproben
Bakterielle Abortursachen
Chlamydienabort:
Der Erreger Chlamydia abortus kommt weltweit vor und stellt in den neuen Bundesländern die häufigste infektiöse Abortursache bei Schaf und Ziege dar (1, 2). Eine Infektion mit diesem Erreger kann zum seuchenhaft verlaufenden Verlammen in den letzten 2-3 Wochen der Trächtigkeit oder zur Geburt lebensschwacher Lämmer führen. Die Chlamydien werden beim Abort eines infizierten Tieres massiv ausgeschieden, sodass sich der Mensch zum Beispiel bei der Geburtshilfe oder im Umgang mit Abortmaterial anstecken kann. Schwangere Frauen sind dabei besonders gefährdet (1,2).
Beim Nachweis von Chlamydien antibiotische Behandlung der noch trächtigen Tiere mit einem OTC-Langzeitpräparat; bei allen Schafen, die 3 Wochen nach dieser metaphylaktischen Behandlung noch nicht gelammt haben, ist dies zu wiederholen.
Schutzimpfung in betroffenen Herden:
Grundimmunisierung des Bestandes gegen den Chlamydienabort vor der nächsten Deckzeit mit Ovilis Enzovax® (MSD, attenuierter Lebendimpfstoff) oder ENMEVA® (HIPRA, Inaktivierter Impfstoff zur Verringerung) von Aborten durch Chlamydia abortus und Salmonella Abortusovis bei Schafen) entsprechend den Herstellerangaben.
Coxiellose/Q-Fieber
Der Erreger Coxiella burnetii wird in Fruchtwässer und Nachgeburten von Aborten und auch Geburten gesunder Lämmer massenhaft ausgeschieden. Der Coxiellen bedingte Abort wird beim Wiederkäuer eher als „Betriebsunfall“ angesehen (3). Die Ausscheidung über Milch, Urin sowie Kot ist epidemiologisch von untergeordnetem Interesse.
Die Übertragung erfolgt über die Atemluft (kontaminierte Tröpfchen und Stäube). Während eine Infektion beim Menschen das Q-Fieber, eine fieberhafte Allgemeinerkrankung, verursachen kann, verläuft bei Tieren verläuft die Infektion bis auf gelegentliche Spätaborte und Fruchtbarkeitsstörungen meist unauffällig. Bei den in regelmäßigen Abständen auftretenden Kleinraumepidemien bei Menschen sind oft lammende oder abortierende infizierte Schafe oder Ziegen die Ansteckungsquelle (4).
Brucellose
Brucellose wird bei Schaf und Ziege durch Brucella (B.) melitensis verursacht. Deutschland ist amtlich frei von Brucellose.
Campylobacteriose
Der Erreger Campylobacter fetus subsp. fetus (Syn. C. fetus subsp. intestinalis) löst infolge einer relativ hohen Anpassung nur beim Schaf seuchenhafte Krankheitsgeschehen aus. Daneben ist auch C. jejuni in der Lage, Aborte zu verursachen. Die Infektion erfolgt oral, nicht über den Deckakt. Bei Aborten sind die Kotyledonen sind häufig ödematös geschwollen und von blass-gelblicher Farbe. Die abortierten Feten zeigen Unterhautödeme, serofibrinöse Ergüsse in der Bauchhöhle und bis zu 5 mm große punkt- und ringförmige Lebernekrosen. Campylobacter kommt in den neuen Bundesländern nur sporadisch als Abortursache vor.
Leptospirose
Die Leptospirose kommt weltweit vor. Schafe und Ziegen und können Träger von Leptospiren sein, ohne dass dies zwangsläufig einen Abort zur Folge hat. Die Infektion erfolgt in der Regel über Schleimhäute oder kleine Hautverletzungen oder wird vom Muttertier auf den Fötus übertragen. Schafe und Ziegen besitzen eine geringere Empfänglichkeit für Leptospireninfektionen als Rinder, Schweine und Hunde. Verluste in Schaf und Ziegenherden sowie Infektionen von Menschen durch Schafe und Ziegen werden nur aus tropischen und subtropischen Ländern berichtet. In Deutschland ist derzeit fast ausschließlich mit subklinischen Infektionen zu rechnen, die sich durch entsprechende Antikörpertiter nachweisen lassen (5).
Listeriose
Neben Listeria (L.) monocytogenes kann auch L. ivanovii innerhalb der metrogenen Form der Listeriose Aborte auslösen. Meist verlammen Jährlinge in allen Trächtigkeitsstadien. Listerien kommen auch im Darm klinisch gesunder Tiere und in der Umwelt vor. Die Ansteckung erfolgt über verschmutzte Futtermittel (meist Silagen) und kontaminiertes Tränkwasser. Die Aborte verlaufen meist komplikationslos und treten meist unabhängig von der zerebralen Form der Listeriose auf (6).
Salmonellose
Der Haupterreger Salmonella Abortusovis ist an das Schaf adaptiert. Dieser wird meist durch Zukauf weiblicher Schafe in einen Bestand eingeschleppt und führt zu Aborten im 4. oder 5. Trächtigkeitsmonat oder zur Geburt lebensschwacher Lämmer. Die Infektionen erfolgen vorwiegend oral, aber auch über den Deckakt. Es entwickelt sich eine Allgemeininfektion, als deren wichtigste Folge Aborte auftreten. Infektionsquellen für S. Abortusovis sind aufgrund der hohen Wirtsanpassung nur unter Schafen zu suchen, für andere Serovare müssen dagegen auch andere Tierarten beachtet werden. Ein Teil der abortierten Feten ist bereits mumifiziert oder befindet sich im Zustand beginnender Fäulnis. Betroffene Muttertiere zeigen im Gegensatz zu den meist anderen hier genannten Abortursachen eine fiebrige Allgemeininfektion, die auch tödlich enden können. Infizierte Böcke zeigen keine Hoden- und Nebenhodenveränderungen (7).
Impfstoffe stehen derzeit in Deutschland nicht zur Verfügung. In Spanien ist eine Chl. abortus/S. Abortusovis Kombinations-Adsorbatvakzine auf dem Markt.
Virale Abortursachen
Border Disease
Die Border Disease (BD) ist eine weltweit vorkommende, durch Flaviviren hervorgerufene Infektionskrankheit bei Schafen, seltener auch bei Ziegen. Die Border Disease ist nur bei trächtigen Tieren von Bedeutung, die bei einer Infektion verlammen oder Lämmer mit Behaarungs- und zentralnervösen Störungen (Hairy shaker) gebären. Diese können, falls sie überleben, zu lebenslangen Virusträgern werden. Der Erreger der Border Disease ist eng mit dem Erreger der Bovinen Virusdiarrhoe (BVD) verwandt. Eine Infektion mit dem BVD- oder BD-Virus kann über Kot, Speichel oder andere Körpersekrete oder vom Muttertier auf den Fötus erfolgen. Die Diagnose am betroffenen Lamm kann bereits klinisch gestellt werden, endgültige Sicherheit liefern eine pathologische Untersuchung und der Virusnachweis. Zur Überprüfung der Durchseuchung eines Bestands eignen sich serologische Verfahren. Eine Therapie ist nicht möglich. In der Praxis hat die Exposition mit Virusträgern bis einen Monat vor der Bedeckung bewährt.
Schmallenberg-Virus
Die Ansteckung mit Schmallenberg-Virus erfolgt über Gnitzen und kann bei Rindern, Schafen und Ziegen zu Aborten und Missbildungen und daher nicht selten zu Geburtsproblemen führen. Ein Impfstoff (Zulvac SBV®) ist in Deutschland zugelassen, wird aber aufgrund der inzwischen vorhanden Herdenimmunität selten angewendet.
Blauzungenkrankheit
Ebenfalls von Stechmücken übertragen wird das Blauzungenvirus, das zu Beginn der Trächtigkeit auch zu Aborten oder Missbildungen führen kann.
Parasitäre Abortursachen
Toxoplasmose
Toxoplasmose wird vom Einzeller Toxoplasma (T.) gondii verursacht und kann beim kleinen Wiederkäuer zu Aborten führen. Endwirt dieses Erregers sind Katzen, insbesondere Jungtiere, welche den Erreger mit dem Kot ausscheiden. Kleinwiederkäuer nehmen als Zwischenwirt den Erreger mit kotverschmutztem Futter oder Wasser auf. Die Toxoplasmeninfektion kommt sehr häufig vor, verläuft aber nach postnataler Infektion meist subklinisch. Bei einem Abort erfolgt die Diagnose nach makroskopischen Hinweisen (weiße nekrotische zentralverkalkte Pünktchen auf den Kotyledonen) histologisch mittels Giemsa Färbung. Eine PCR ist möglich, jedoch meist kein Bestandteil der Routinediagnostik. Eine gezielte Therapie ist in einem betroffenen Bestand nicht möglich. In einigen europäischen Ländern ist eine attenuierte Lebendvakzine für Schafe (Ovilis Toxovax®) verfügbar (8).
Neospora caninum
N. caninun bedingte Aborte gibt es auch beim Schaf, aber m Vergleich zum Rind sehr selten. Bisher sind nur zwei Nachweise in Deutschland dokumentiert, während N. caninum verursachte Aborte in „Schafzuchtnationen“ wie z.B. Großbritanien, Spanien und Neuseeland wesentlich häufiger beschrieben ist. Hunde, insbesondere solche, die Kontakt zu Rindern haben, spielen als Infektionsquelle eine wichtige Rolle. Besonders Schafe in der frühen Trächtigkeit können davon betroffen sein.
Bei den in Deutschland dokumentierten zwei Föten konnten typische Anzeichen einer protozoär verursachten Encephalitis, Myokarditis, Hepatitis bzw. eine multifokale nekrotisierende Plazentitis nachgewiesen werden (9).
Neben infektiösen Ursachen kommen auch nichtinfektiöse Ursachen wie Stresssituationen und Mangelernährungen für das Muttertier, Missbildungen, Myko- und andere Toxine, allergische Reaktionen sowie Medikamente mit teratogenen oder abortauslösenden Eigenschaften in Frage.
Literaturverzeichnis
1. Lenzko H, Moog U, Henning K, Lederbach R, Diller R, Menge C, et .al. High frequency of chlamydial co-infections in clinically healthy sheep flocks. BMC Veterinary Research 2011, 7:29.
2. Moog U. Chlamydienabort. Geschäftsbericht der Thüringer Tierseuchenkasse 2018, 39
3. Böttcher J, Schumacher M, Janowetz B. Kritische Anmerkungen zum Q-Fieber Proceedings der 1. Jahrestagung der DVG FG KKW; 11./12. Mai 2011 Freiburg i.Br. S. 18-21.
4. Hilbert A, Schmoock G, Lenzko H, Moog U, Diller R, Fröhlich A. et al. Prevalence of Coxiella burnetii in clinically healthy German sheep flocks. BMC Research Notes 2012, 5:152
5. Selbitz H J, Moog U: Leptospirose, in Bostedt H, Ganter M, Hiepe T, Herausgeber. Klinik der Schaf- und Ziegenkrankheiten Georg Thieme Verlag Stuttgart New York; 2018, S. 336 - 337
6. Dreyer M, Thomann A, Böttcher S, Frey J, Oevermann A. Outbreak investigation identifies a single Listeria monocytogenes strain in sheep with different clinical manifestations, soil and water. Vet Microbiol. 2015 Aug 31;179(1-2):69-75.
7. Sting R, Nagel C, Steng G. Nachweismethoden für Salmonella abortus ovis sowie Untersuchungen in Schafherden im nördlichen Baden-Württemberg. Journal of Veterinary Medicine, Series B 87–98.
8. Strube C., Daugschies A. Antiparasitäre Vakzinen beim Nutztier: Wunsch und Wirklichkeit. Berliner und Münchner Tierärztliche Wochenschrift 2015 128, 437–450
9. Peters M, Wohlsein P, Müller M, Schares G, Welche Bedeutung hat Neospora caninun im Zusammenhang mit Schafaborten. Proceedings der 9. Jahrestagung der DVG FG KKW; 4.-6.9 2019; Riems. S. 91-93.
Kontaktadresse
Schaf- und Ziegengesundheitsdienst der Thüringer Tierseuchenkasse
Dr. Udo Moog
Victor-Goerttler-Str. 4
07745 Jena
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!