-ABGESCHLOSSEN-

MastiSelekt - Entwicklung eines Verfahrens zur IT-gestützten Selektion von Milchkühen für das selektive antibiotische Trockenstellen


Hintergrund

Entzündungen der Milchdrüse spielen eine entscheidende Rolle in der Milchproduktion; sie beeinträchtigen Gesundheit und Wohlbefinden der Kühe und verursachen beträchtliche wirtschaftliche Verluste. Bei Eutererkrankungen kann gegenwärtig auf antibiotische Therapien nicht vollständig verzichtet werden, um die Eutergesundheit wiederherzustellen und damit das Wohlergehen der Tiere und die Wirtschaftlichkeit der Milchproduktion zu sichern. Dabei hat auch die antibiotische Therapie zum Trockenstellen einen hohen Stellenwert. Die seit Januar 2019 in Kraft getretene und seit Januar 2022 anzuwendende Tierarzneimittel-Verordnung (EU) 2019/6 fordert einen umsichtigen Einsatz von antimikrobiellen Wirkstoffen, um die Entwicklung antimikrobieller Resistenzen in Human- und Tierarzneimitteln zu reduzieren. Die Anwendung von antimikrobiellen Wirkstoffen zu prophylaktischen und metaphylaktischen Zwecken ist zu vermeiden und ggf. gesondert zu rechtfertigen. Das führt zu einem Verzicht auf den systemischen Einsatz von Antibiotika zum Trockenstellen bei allen Kühen. Auch aus wirtschaftlicher Sicht ist das systematische Trockenstellen unter Antibiotika-Schutz nicht der optimale Ansatz. Eine Reduktion des Antibiotikaeinsatzes durch Etablierung evidenzbasierter Selektionskriterien erfordert eine Erhöhung der diagnostischen Aufwendungen und die Entwicklung zuverlässiger Risikobewertungen. Wegen der Vielzahl möglicher Einflussfaktoren erscheint es sinnvoll, für eine evidenzbasierte Entscheidung bezüglich eines antibiotischen Trockenstellens ein daten- und IT-basiertes Entscheidungsinstrument zu nutzen, welches Informationen aus mehreren Quellen zusammenführt und integriert verarbeitet. Dabei sollte auch der bakteriologische Erregernachweis des jeweiligen Tieres und die herdenspezifische Prävalenz bestimmter intramammärer Infektionen Berücksichtigung finden.


Projektablauf

Ziel dieses Projektes ist es, in Zusammenarbeit der in Thüringen auf dem Gebiet der Eutergesundheit tätigen Untersuchungseinrichtungen (Thüringer Tierseuchenkasse, Qnetics GmbH) und dem Rechenzentrum Vereinigte Informationssysteme Tierhaltung w. V. (vit) sowie im Verbund mit Herstellern von Herdenmanagementprogrammen und AMS ein daten- und IT-basiertes Entscheidungsinstrument zu entwickeln, welches eine (teil-)automatisierte Bewertung des Mastitisrisikos von Kühen in Bezug auf das selektive antibiotische Trockenstellen unter Nutzung des zuvor entwickelten Risikobewertung ermöglicht.

Voraussetzung für die Anwendung des Algorithmus ist die elektronische Übermittlung der Mastitisfälle aus dem Herdenmanagement-Programm an vit und die Durchführung einer bakteriologischen Untersuchung 1-2 Wochen vor dem geplanten Trockenstell-Termin. Die Berechnung der Empfehlung erfolgt, nachdem der Untersuchungsbefund vom TGD-Labor der Thüringer Tierseuchenkasse elektronisch an vit übermittelt wurde. Dort wird anhand der vorliegenden MLP-Daten mit dem Algorithmus die Empfehlung berechnet, welche der Milcherzeuger künftig zusammen mit dem Befund der bakteriologischen Untersuchung erhält.

Das System zur Bewertung des Mastitisrisikos wurde in ausgewählten Praxisbetrieben erprobt. Ab September 2021 fand in allen fünf Projektbetrieben die regelmäßige Entnahme und Untersuchung der Milchproben von trockenzustellenden und frisch abgekalbten Kühen sowie von Kühen mit Mastitis statt, und ab Februar 2022 wurde das System im Praxiseinsatz in fünf Projektbetrieben getestet.

Dabei wird das Auftreten intramammärer Infektionen vor und nach der Trockenperiode unter Einbeziehung bakteriologischer Untersuchungen kontrolliert. Dies erfolgt unter Einbeziehung von Herden mit AMS und Herden mit konventionellen Melksystemen, für welche die Voraussetzungen zum selektiven antibiotischen Trockenstellen als gut einzuschätzen sind. Projektinhalt ist weiterhin der Wissenstransfer zum selektiven Trockenstellen durch Schulungen von Landwirten und Tierärzten, die Durchführung von Informationsveranstaltungen und die Erstellung wissenschaftlicher Publikationen zu den Ergebnissen des Projekts.


Projektzeitraum

Januar 2021 bis Dezember 2023


Projektpartner

  • Agrargenossenschaft Reichenhausen e. G
  • Agrargenossenschaft Niederpöllnitz e. G.
  • Agrargenossenschaft Königshofen e. G.
  • Agrargenossenschaft Graitschen e.G.
  • Agrargesellschaft Griesheim mbH
  • Qnetics GmbH
  • Vereinigte Informationssysteme Tierhaltung w. V. 
  • Thüringer Tierseuchenkasse

Assoziierter Wissenschaftspartner

  • Professur Tierhygiene und Tierzucht an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (HTW)
  • Klinik für Geburtshilfe, Gynäkologie und Andrologie der Groß- und Kleintiere mit Tierärztlicher Ambulanz der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU)

Ergebnisse und Veröffentlichungen

Für die (teil-)automatisierte Bewertung des Mastitisrisikos von Kühen in Bezug auf das selektive antibiotische Trockenstellen ist ein daten- und IT-basiertes System entwickelt worden. Die Programmierung der Software erfolgte durch vit in Zusammenarbeit mit der Thüringer Tierseuchenkasse. Voraussetzung war die Identifizierung von Datenquellen, die Entwicklung einer Datenbank zur Eutergesundheit sowie die Etablierung von Schnittstellen, die einen automatischen Austausch der für die Risikobewertung benötigten Daten ermöglicht.

Es wurde ein Entscheidungsalgorithmus entwickelt, der insgesamt 15 Kriterien bewertet, welche sich aus bakteriologischen Milchuntersuchungen, MLP-, und Gesundheitsdaten zusammensetzen. Die Bewertung führt zu einer tierindividuellen Handlungsempfehlung hinsichtlich des Antibiotikaeinsatzes zum Trockenstellen. Kriterien auf Herdenebene umfassen die Haltungs- und Hygienebedingungen im Stall und Milchleistungsprüfdaten auf Herdenniveau. Kriterien auf Kuhebene tierindividuelle MLP-Daten, Tiergesundheitsdaten und Infektionen mit Mastitiserregern in der aktuellen Laktation berücksichtigen. Dabei führen Nachweise kuhassoziierter Infektionserreger (z. B. Galt, Staphylococcus aureus) und kritische Abweichungen der somatischen Zellzahl in jedem Fall zur Empfehlung einer antibiotischen Therapie zum Trockenstellen. Als wesentliches Element ist auch ist der neue, tierindividuelle Milchleistungsprüfparameter „Zellzahldifferenzierung“ (DSCC – Differential Somatic Cell Count) mit den vier Eutergesundheitsgruppen in den Algorithmus integriert.

In der Projektlaufzeit von 13 Monaten wurden für 2130 Tiere eine Handlungsempfehlung zum Trockenstellen ausgegeben. Insgesamt konnte für etwas mehr als 56% der Kühe eine Empfehlung zum Trockenstellen ohne Antibiotika ausgesprochen werden. Daraus ergibt sich ein erhebliches Potential für die Reduktion des Antibiotikaeinsatzes. Das ist sowohl für die verminderte Resistenzentwicklung als auch für wirtschaftlichen und rechtskonformen Einsatzes von Tierarzneimitteln eine relevante Größenordnung.

Die Ergebnisse des Praxistests zeigten keinen Unterschied zwischen den selektiv trockengestellten Tieren und den Vergleichstieren hinsichtlich der Häufigkeit von klinischen Mastitiden. Festzustellen war jedoch, dass die Indikatoren für subklinische Mastitis, also Zellzahl und Erregernachweise, bei den selektiv trockengestellten Kühen erhöht waren. Dabei beschränkte sich die Erhöhung der Zellzahl im Wesentlichen auf die erste Milchleistungsprüfung nach der Kalbung. Mastitiserreger waren vermehrt am ersten Tag nach der Kalbung nachweisbar. Hier zeigte sich, dass ein Teil der Kühe zumindest bezüglich subklinischer Euterinfektionen von der antibiotischen Therapie zum Trockenstellen profitierte. In Bezug zu dem Erregernachweis zu einem späteren Zeitpunkt, der Zellzahl zur dritten MLP und dem Vorkommen klinischer Mastitiden in den ersten 30 Tagen postpartum ergab sich kein Unterschied zwischen selektiv und pauschal antibiotisch trockengestellten Kühen.

Insgesamt war das selektive Trockenstellen ist mit Hilfe des MastiSelekt-Algorithmus gut möglich. Der damit einhergehende zusätzliche zeitliche Aufwand beschränkt sich für den an der MLP teilnehmenden Milcherzeuger auf die Entnahme einer Milchprobe vor dem Trockenstellen. Das Trockenstell-Management im Betrieb wird systematisiert und damit optimiert. In den Projektbetrieben konnte der Einsatz von Antibiotika durch eine tierindividuelle Trockenstell-Empfehlung deutlich reduziert werden ohne dass sich die Eutergesundheit nachhaltig verschlechterte. Für die erfolgreiche praktische Anwendung des selektiven Trockenstellens ist ein gutes allgemeines Niveau der Eutergesundheit im jeweiligen Betrieb erforderlich. In Problemphasen und für Betriebe mit nicht ausreichender Eutergesundheit ist das selektive Trockenstellen nur mit gebotener Vorsicht und nach eingehender tiermedizinischer Fachberatung zu empfehlen.

 Abschlussbericht


Finanzierung

Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER):

Thüringer Programm zur Förderung der Zusammenarbeit in der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft (LFE), Teil A – Tätigkeit von operationellen Gruppen der Europäischen Innovationspartnerschaft (EIP) „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“


Mitarbeiterin

Frederike Wehrle (Ansprechpartnerin)